Verschulden bei Vertragsverhandlungen / culpa in contrahendo

07.03.2024 | Lexikon

Die sogenannte culpa in contrahendo (c.i.c.) bezeichnet ein Verschulden im Rahmen von Vertragsverhandlungen, also bevor ein Vertrag zustande gekommen ist. Sie kann die Grundlage für einen Schadenersatzanspruch darstellen. Ein solcher Anspruch besteht dann unabhängig davon, ob später ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht.

Lange Zeit war das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo nicht gesetzlich geregelt, sondern wurde von der Rechtsprechung verwendet, um eine nach Ansicht der Gerichte bestehende Regelungslücke auszufüllen. Seit 2002 existiert eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 311 Abs. 2, meist in Verbindung mit § 280 Abs. 1 und 241 Abs. 2).

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis im Sinne von § 311 Abs. 2 entsteht durch:

  • Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
  • Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut,
  • ähnliche geschäftliche Kontakte.

Man geht davon aus, dass auch schon während der Verhandlungsphase gesteigerte Sorgfalts- und Vertrauensschutzpflichten gegenüber dem Vertragspartner bestehen, bei deren Verletzung Schadenersatz fällig werden kann.

Dies kommt zum Beispiel dann zum Tragen, wenn ein Vertragspartner gegenüber dem anderen den Vertragsabschluss als absolut sicher hinstellt, sich dann aber im letzten Moment umentscheidet, der andere jedoch auf den Abschluss vertraut und deswegen Aufwendungen getätigt hat.

Ein Schadenersatzanspruch aus c.i.c. führt dazu, dass der Geschädigte so gestellt werden muss, wie er bei erfolgreichem Abschluss des Vertrages dagestanden hätte. Dies bedeutet, dass ihm getätigte Aufwendungen zu ersetzen sind, aber gegebenenfalls auch ein entgangener Gewinn (der jedoch nachweisbar sein muss).

Beim Grundstückskaufvertrag besteht eine besondere Situation: Dieser bedarf der notariellen Beurkundung. Er muss also von beiden Seiten vor dem Notar unterzeichnet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht kein Vertrag, und beide Vertragspartner können es sich ohne besonderen Grund noch anders überlegen. Ein vorvertragliches Verschulden kann hier grundsätzlich nicht zu einem Schadenersatzanspruch aus c.i.c. führen: Die Formbedürftigkeit stellt eine vom Gesetzgeber gewollte „Sicherheitsschranke“ dar und darf nicht unterlaufen werden, indem man denjenigen, der es sich anders überlegt, über einen Schadenersatzanspruch nun doch z. B. zur Zahlung des Kaufpreises zwingt.

Es gibt jedoch Ausnahmen: Hat der „Vertragsaussteiger“ einen schweren Verstoß gegen die Verpflichtung zu redlichem Verhalten bei den Vertragsverhandlungen begangen – wofür in der Regel ein vorsätzliches pflichtwidriges Verhalten nachgewiesen werden muss – kann er schadenersatzpflichtig sein. Dies hängt im Einzelfall davon ab, wie sich der Betreffende verhalten und auf welche Weise er den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt zu wollen. Auch bei einer Gefährdung der Existenz der anderen Partei durch einen Abbruch der Vertragsverhandlungen gestehen die Gerichte Schadenersatzansprüche zu (z. B. OLG Koblenz, Urteil vom 25.02.1997, Az. 3 U 477/96; BGH, Urteil vom 29.03.1996, Az. V ZR 332/94).