Wegen der immer größeren Anzahl von Flüchtlingen wurde im Sommer 2015 zunehmend erwogen, leerstehende Immobilien zu beschlagnahmen, um dort Flüchtlingsunterkünfte einzurichten. In Kreisen der Immobilienwirtschaft lösten solche Erwägungen Kritik aus. Verschiedene Bundesländer greifen jedoch zu diesem Mittel, da eine anderweitige Unterbringung der Flüchtlinge – insbesondere im Winter – nicht möglich erscheint und auch die Kapazitäten der Lieferanten für Wohncontainer oft erschöpft sind.
Sowohl die Genfer Flüchtlingskonvention als auch das Grundgesetz verpflichten den deutschen Staat zur Bereitstellung menschenwürdiger Unterkünfte für Flüchtlinge. Städte und Gemeinden dürfen auch ohne besondere Gesetze Immobilien für Flüchtlinge beschlagnahmen, wenn eine Notsituation vorliegt, eine Entschädigung geleistet wird und der Schritt nur vorübergehend ist. Rechtsgrundlage sind die Polizei- und Ordnungsgesetze der Bundesländer. Ein derartiger Schritt darf nur stattfinden, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
In Hamburg wurde ab 1. Oktober 2015 eine besondere gesetzliche Grundlage für die „Sicherstellung“ von privatem Wohnraum für Flüchtlinge geschaffen. Die zeitlich begrenzte Regelung soll nur auf gewerbliche Immobilien angewandt werden. Der Gesetzestext enthält eine solche Einschränkung jedoch nicht.
Das Bundesland Bremen hat am 15.10.2015 eine vergleichbare Regelung wie Hamburg beschlossen. Danach wird es zunächst bis März 2017 möglich, Gewerberäume, Wohnraum und Grundstücke ab 300 Quadratmetern zu beschlagnahmen. Allerdings soll nach Äußerungen regionaler Politiker keine Beschlagnahme von Privatwohnungen stattfinden. In Berlin hat es Beschlagnahmungen von leerstehenden Gewerbeimmobilien auf der Grundlage bestehender polizeirechtlicher Regelungen gegeben. Auch hier werden die Eigentümer finanziell entschädigt.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat am 9.10.2015 entschieden, dass die Beschlagnahme eines ehemaligen Kinderheims zur Unterbringung von Flüchtlingen rechtswidrig sei. Die Stadt Lüneburg hatte sich dabei mangels besonderer gesetzlicher Regelung auf die polizeirechtliche Generalklausel berufen. Die Beschlagnahme sollte für sechs Monate stattfinden, der Eigentümer sollte entschädigt werden. Das Gericht erklärte, dass nach der allgemeinen polizeirechtlichen Regelung nur beschlagnahmt werden dürfe, wenn ein polizeilicher Notstand vorliege und jedes andere Mittel ausgeschöpft sei. Es werde in das Grundrecht nach Art. 14 Grundgesetz (Eigentum) eingegriffen. Die Stadt habe nicht ausreichend dargelegt, ob alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Dabei seien ggf. auch Zimmer in Beherbergungsbetrieben, Ferienwohnungen oder Betten in der Jugendherberge anzumieten (Beschluss vom 09. Oktober 2015, Az. 5 B 98/15). Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt (Beschluss 1.12.2015, Az. 11 ME 230/15).
Fazit: Die Gemeinden können erst zum Mittel der Beschlagnahme greifen, wenn es nachweisbar nicht anders geht. Es muss eine finanzielle Entschädigung gewährt werden und die Beschlagnahme ist zeitlich begrenzt. Die Beschlagnahme stellt keine Enteignung dar, sondern verpflichtet den Vermieter nur zur Überlassung an die von der Gemeinde vorgesehenen Bewohner gegen eine von der Gemeinde zu zahlende Miete. Konkrete Fälle, in denen private Wohnungen tatsächlich und nachweisbar für Flüchtlinge beschlagnahmt wurden, sind bisher kaum bekannt.